English Version

Montag, 15. August 1988

London

Liebste Sis,

ach du Arme. Mit Zahndilemmas habe ich ja nun wirklich Erfahrung und kann es Dir nachempfinden. Gut, dass es die Zahnmedizin gibt, wäre ich 100 Jahre eher geboren, liefe ich wohl schon fast zahnlos herum. Aber trotzdem weiß ich nicht, wie manche Zahnarzt als Traumberuf wählen können. Aber egal, gut, dass es diese Leute gibt, man muss ja nicht alles verstehen.

Hier in England gibt es den nationalen Gesundheitsdienst oder National Health Service. Alle Behandlungen sind hier frei und man zahlt keine Krankenversicherung. Das kostet den Staat eine Menge Geld und man bekommt vielleicht nicht den besten Service, den man dann beim Privatarzt erst erwerben muss. Mir reicht zumindest der staatliche Gesundheitsdienst. Ich war schon ganz zufrieden bei meiner ersten Erfahrung, denn meine erste Mandelentzündung hat wie üblich nicht lange auf sich warten lassen. Der Arzt war sehr nett und hat mir Bettruhe, warme Getränke und Panadol empfohlen, die hier nicht verschrieben werden müssen, sondern die es in jedem Laden an der Ecke frei zu kaufen gibt. Da ist eigentlich auch nur Paracetamol drin, aber die helfen wunderbar. Ich fühlte mich so elend und konnte nicht verstehen, dass ich nicht stärkere Sachen verschrieben bekam, aber der Doktor meinte, selbst wenn ich Lady Diana sei, könne er nichts anderes für mich tun. Die Briten und ihr Humor.

Ach ja, London ist schön. Ich könnte mir vorstellen, länger hier zu wohnen. Wir hatten letzte Woche ein Neulingstreffen an der Uni und da habe ich zum ersten Mal einen waschechten Araber getroffen. Wo der her kommt, weiß ich nicht, aber irgendwo aus der Nähe von Saudi Arabien. Zuerst war ich natürlich sehr skeptisch und habe ihm auch gleich freundlich, aber ohne Umschweife zu verstehen gegeben, dass ich den Umgang mit Frauen in seiner Kultur nicht tolerieren könne. Er wies alle “Gerüchte” von sich und lud mich spontan in sein Land ein, damit ich mich selbst überzeugen könne. Ich habe ihm sofort klar gemacht, dass ich nicht blöd sei und mich erst recht nicht in seinen Harem locken ließe. Das wurde dann eine sehr lustige und etwas hitzige Debatte, aber ich wünschte, ich könnte besser Englisch, dann hätte ich vielleicht auch meine Gegenargumente besser anbringen können. Zumindest kann so ein Araber auch sehr charmant sein, so ganz anders wie ich erwartet hatte. Aber über ihre Religion lassen sie nichts kommen. Die nimmt eine absolute Vorderstellung ein. Ganz anders als bei unseren Jugendlichen.

So, nun muss ich aber wieder los. Wenn ich erst mal anfange zu erzählen, fällt es mir schwer aufzuhören.

Alles Liebe und bis bald.

Sei umarmt,
Deine kleine Schwester

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