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Sonntag, 24. Juli 1988

Köln

Liebste Schwester,

ich habe mich sehr über Deinen Brief gefreut und bin ganz neidisch, dass Du in dieser tollen Stadt lebst und studierst! Ich werde Dich wohl bald besuchen kommen, meine Sehnsucht wird von Tag zu Tag größer und ich bin so gespannt auf London!!

Vorerst aber muss ich den Verlust eines Backenzahnes verschmerzen, zum Glück tut es jetzt nicht mehr weh. Wie ist das eigentlich in London, wenn Du mal zum Arzt musst?

Ich bin vergangenes Wochenende zu Dagmar in die WG gezogen, das kam ganz spontan, ein Zimmer wurde frei und ich dachte, warum nicht, und so lebe ich nun wieder mit Dagmar zusammen. Die alte WG löste sich ja eh langsam auf und der Vermieter will die Wohnung sowieso renovieren und ist froh, dass wir alle nach und nach ausziehen. Mein neues Zimmer ist jedenfalls wirklich wunderschön, so ein Erkerzimmer, vielleicht lernst Du es ja mal kennen, wenn Du nach Deutschland kommst. Aber ich denke, das wird wohl noch eine Weile dauern, und warum solltest Du das wunderschöne London verlassen? Mir gefällt Köln auch gut, obwohl es ja kein Vergleich ist mit London! Doch hier leben alle meine Freunde, wir machen viel gemeinsam und die wöchentlichen Essen Donnerstags hast Du ja nun auch kennen gelernt. Letzte Woche waren wir wieder bei Willi und natürlich warst Du und London ein Thema und auch Dein Bericht über das scheinbar problemlose Multi-Kulti. Das endete dann in einer hitzigen politischen Diskussion, die wir mit eingen Gläschen Wein abkühlten und so wurde es wieder spät und ich hatte wie immer große Mühe, am Freitag Morgen aufzustehen und pünktlich zur Arbeit zu erscheinen. Da wünsche ich mir dann immer, wir hätten diese moderne Gleitzeit, die einige Firmen anbieten. Aber sowas wird es in einer Behörde kaum geben, ich kann es mir jedenfalls nicht vorstellen.

Die Eltern sind immer noch überrascht, dass Du in London studierst, ganz so, als hätten sie es nie glauben können. So weit weg, sagt Vater immer, als sei England auf der anderen Erdhalbkugel. Er kann sich schwer damit abfinden, dass seine Töchter nun beide nicht mehr zu Hause wohnen. Wobei ich ja "nur" 50 Kilometer entfernt bin und sie wirklich oft besuche.

Sei's drum, ich werde jetzt meine Decke nehmen und mein Buch und in den Park gehen. Vielleicht setze ich mich auch an den Aachener Weiher, wo wir beide so oft waren. Mal sehen, die Sonne scheint und ich schlendere einfach mal los.

Ich freue mich schon auf Deinen nächsten Bericht über London, bald werde ich Dich besuchen, mal sehen, was die Reisebüros so anbieten und wann der nächste Brückentag kommt und ich darum lange frei nehmen kann.

Bleib gesund und munter und grüß mir die Insel!

Deine Schwester

Sonntag, 17. Juli 1988

London

Liebste Sis,

London ist klasse. Einfach toll. Voller Menschen und Leben. Die Menschen
kommen hier aus aller Herren Länder, aber die traditionelle britische
Kultur ist überall so präsant wie man es aus Miss Marple kennt. Im Pub
bekommt man Chips in allen Sorten, die sich aber in England Crisps
nennen. "Crispsssssss, dear" hat der Barkeeper zu mir gesagt, die hießen
hier "Crispsssss, dear!" Und der Akzent, einfach klasse.

Die Uni ist auch toll. Im Moment ist "Freshers' Week", d.h. alle neuen
Studenten werden in das Unileben eingewiesen. Überall stehen Stände mit
Broschüren für alle möglichen Vereine, besonders auch für die
verschiedenen Religionen, die hier vertreten sind, sowie
Hobbygesellschaften, neben den Infoständen der einzelen Abteilungen. Die
Fakultät nennt sich hier School. Und so bin ich schon wieder in einer
Schule gelandet, wo ich doch dachte, ich sei endlich frei. Man bekommt
überall Tee, Getränke und tausend Prospekte in die Hand gedrückt. Das
ist eine super tolle Atmosphäre. Besonders hat es mir die Multi-Kulti
Mischung der Studenten angetan. Aber man sollte sich nicht täuschen
lassen. In bunte Saris gehüllte Mädchen mit langen, pech-schwarzen
Haaren sprechen so was von Cockney, dem Londoner Dialekt, dass es dich
umhaut, weil das was du siehst, nicht zu dem passt, was du hörst. Dann
stellt sich heraus, dass die Familie schon etliche Generationen hier
lebt und sie selber in Großbritannien geboren wurden und auch erst zwei Mal
die Familie ihrer Eltern in Indien oder Pakistan besucht haben. In
Deutschland habe ich das leider noch nicht so erlebt. Was für uns die
Türken sind, sind in England die Inder und Pakistanis, aber hier sind
sie alle bunt gemischt. Stell dir vor, ich habe sogar Polizisten mit
Turbanen gesehen. Normalerweise haben die doch so einen Bobbyhelm auf,
der wie eine Melone aussieht, aber die Sieks, eine Hindu Gruppierung, so
wie ich das verstanden habe, düfen ihren Turban anstelle der Melone
tragen. Die haben nur die gleiche Farbe und das Emblem der königlichen
Dingsbums vorne drauf. Sieht echt jeck aus!

So, jetzt muss ich mich aber wieder sputen, die Uni ruft. Ich habe auch
schon zwei Deutsche getroffen und hoffe, dass wir uns gegenseitig ein wenig
helfen können. Mit der Sprache klappt es ganz gut, aber du kennst mich,
ich bin mir nie ganz sicher, ob ich auch alles richtig mache.

Sei herzlich umarmt und grüße mir unsere Eltern,
Dein kleines Schwesterherz