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Sonntag, 17. Juli 1988

London

Liebste Sis,

London ist klasse. Einfach toll. Voller Menschen und Leben. Die Menschen
kommen hier aus aller Herren Länder, aber die traditionelle britische
Kultur ist überall so präsant wie man es aus Miss Marple kennt. Im Pub
bekommt man Chips in allen Sorten, die sich aber in England Crisps
nennen. "Crispsssssss, dear" hat der Barkeeper zu mir gesagt, die hießen
hier "Crispsssss, dear!" Und der Akzent, einfach klasse.

Die Uni ist auch toll. Im Moment ist "Freshers' Week", d.h. alle neuen
Studenten werden in das Unileben eingewiesen. Überall stehen Stände mit
Broschüren für alle möglichen Vereine, besonders auch für die
verschiedenen Religionen, die hier vertreten sind, sowie
Hobbygesellschaften, neben den Infoständen der einzelen Abteilungen. Die
Fakultät nennt sich hier School. Und so bin ich schon wieder in einer
Schule gelandet, wo ich doch dachte, ich sei endlich frei. Man bekommt
überall Tee, Getränke und tausend Prospekte in die Hand gedrückt. Das
ist eine super tolle Atmosphäre. Besonders hat es mir die Multi-Kulti
Mischung der Studenten angetan. Aber man sollte sich nicht täuschen
lassen. In bunte Saris gehüllte Mädchen mit langen, pech-schwarzen
Haaren sprechen so was von Cockney, dem Londoner Dialekt, dass es dich
umhaut, weil das was du siehst, nicht zu dem passt, was du hörst. Dann
stellt sich heraus, dass die Familie schon etliche Generationen hier
lebt und sie selber in Großbritannien geboren wurden und auch erst zwei Mal
die Familie ihrer Eltern in Indien oder Pakistan besucht haben. In
Deutschland habe ich das leider noch nicht so erlebt. Was für uns die
Türken sind, sind in England die Inder und Pakistanis, aber hier sind
sie alle bunt gemischt. Stell dir vor, ich habe sogar Polizisten mit
Turbanen gesehen. Normalerweise haben die doch so einen Bobbyhelm auf,
der wie eine Melone aussieht, aber die Sieks, eine Hindu Gruppierung, so
wie ich das verstanden habe, düfen ihren Turban anstelle der Melone
tragen. Die haben nur die gleiche Farbe und das Emblem der königlichen
Dingsbums vorne drauf. Sieht echt jeck aus!

So, jetzt muss ich mich aber wieder sputen, die Uni ruft. Ich habe auch
schon zwei Deutsche getroffen und hoffe, dass wir uns gegenseitig ein wenig
helfen können. Mit der Sprache klappt es ganz gut, aber du kennst mich,
ich bin mir nie ganz sicher, ob ich auch alles richtig mache.

Sei herzlich umarmt und grüße mir unsere Eltern,
Dein kleines Schwesterherz

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