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Freitag, 30. September 1988

Köln

Meine liebste Schwester,

Du hast mir nicht mehr geschrieben und ich hoffe, ich muss mich nicht sorgen, dass Du in Arbeit erstickst!! Bei uns haben die Semesterferien angefangen, morgen bin ich zu Dagmars Geburtstag eingeladen und Sonntag gibt es bei mir Kaffee und Kuchen für die Eltern.

Seit der Trennung von meinem Freund habe ich viel nachgedacht, es war eine so hektische Zeit die letzten Monate, irgendwie ist eine unglückliche Beziehung was ganz furchtbares, finde ich. Und wenn sie dann zu Ende ist, dann ist das Unglück erst richtig da. Ich beneide Dich so um die große Stadt London!! Ich wünschte, ich wäre bei Dir. Ich wünschte, ich könnte mit Dir an die Uni gehen und den Alltag hier hinter mir lassen.

Ich füge Dir ein paar Fotos meiner neuen Wohngemeinschaft hinzu, wir haben es echt gut miteinander, ich fühle mich sehr wohl. Aber ich denke so oft an Dich und Dein Zimmer im Studentenheim, mir fällt alles noch ziemlich schwer. Ich hoffe, es wird besser mit der Zeit.

Bitte schreibe mir, wie es Dir geht. Ich vermisse Dich so sehr!!

Deine Schwester

Freitag, 9. September 1988

Köln

Liebste Schwester,

alles alles Gute zu Deinem Geburtstag!! Und für das kommende Jahr viel Glück und dass Deine Wünsche in Erfüllung gehen!! Wie wirst Du Deinen Ehrentag wohl feiern? Wieviele Nationen werden daran teilnehmen? Wird bestimmt lustig, ach ich wäre gerne bei Dir!!

Schade, dass ich Dich nicht so einfach anrufen kann, ich würde Dir gerne persönlich gratulieren. Und Dir was echt lustiges erzählen. Naja, so lustig war es auch nicht, aber im nachhinein ist es doch zum lachen. Stell Dir vor, der Pastor aus unserem Dorf war bei den Großeltern! Echt! Er hat sich erkundigt, warum ich aus der Kirche ausgetreten bin. Gut, dass Opa das nicht mehr erleben musste, es hätte ihn sehr gegrämt. Aber bei Oma war er ja an der richtigen Adresse, sein Glück, dass sie ihn nicht aus dem Haus gejagt hat.

Ich bin nun schon so viele Jahre fort und nicht mehr im Dorf angemeldet, wie kommt der dazu, bei Oma vorbeizumarschieren und ihr davon zu erzählen? Erst wollte ich mich fürchterlich aufregen, aber als Oma erzählte, was sie ihm alles an den Kopf geschmissen hat (Du weißt ja, was Oma von der Kirche hält), da musste ich doch lachen! Da tat er mir fast wieder leid.

Wie dem auch sei, ich hatte es ja schon lange vor, musste aber zum Amtsgericht in Omas Nähe und das war terminlich nicht so einfach, darum hat es so lange gedauert. Nun bin ich also nicht mehr evangelisch, war es im Grunde ja nie wirklich. Du weißt, ich glaube an Gott, aber nicht so, wie die Kirche mir das erzählen will. Bei den Katholen ist es ja noch schlimmer, wenn ich schon "jungfräuliche Geburt" höre, kriege ich die Krise, wirklich. Gottes Sohn, von der Jungfrau Maria geboren, das ist doch alles nicht wahr, das ist doch symbolisch gemeint. Aber darüber kannst Du mit niemandem reden, die erzählen Dir immer das gleiche. Ich wünschte, ich hätte ernsthafte Gesprächspartner, aber ich finde keine. Den Eltern war es egal, Oma fand es sogar gut. Sie hält ja eh nichts von der Kirche, wie Du weißt.

So, liebste Schwester, das Wochenende steht vor der Türe, wir wollen ausgehen, ich treffe mich mit meinen Freundinnen. Das wird bestimmt wieder eine lange Nacht, es ist viel los in Köln, bestimmt nicht so viel wie in London, aber Köln gefällt mir richtig gut.

Bis bald!

Deine Schwester

Montag, 15. August 1988

London

Liebste Sis,

ach du Arme. Mit Zahndilemmas habe ich ja nun wirklich Erfahrung und kann es Dir nachempfinden. Gut, dass es die Zahnmedizin gibt, wäre ich 100 Jahre eher geboren, liefe ich wohl schon fast zahnlos herum. Aber trotzdem weiß ich nicht, wie manche Zahnarzt als Traumberuf wählen können. Aber egal, gut, dass es diese Leute gibt, man muss ja nicht alles verstehen.

Hier in England gibt es den nationalen Gesundheitsdienst oder National Health Service. Alle Behandlungen sind hier frei und man zahlt keine Krankenversicherung. Das kostet den Staat eine Menge Geld und man bekommt vielleicht nicht den besten Service, den man dann beim Privatarzt erst erwerben muss. Mir reicht zumindest der staatliche Gesundheitsdienst. Ich war schon ganz zufrieden bei meiner ersten Erfahrung, denn meine erste Mandelentzündung hat wie üblich nicht lange auf sich warten lassen. Der Arzt war sehr nett und hat mir Bettruhe, warme Getränke und Panadol empfohlen, die hier nicht verschrieben werden müssen, sondern die es in jedem Laden an der Ecke frei zu kaufen gibt. Da ist eigentlich auch nur Paracetamol drin, aber die helfen wunderbar. Ich fühlte mich so elend und konnte nicht verstehen, dass ich nicht stärkere Sachen verschrieben bekam, aber der Doktor meinte, selbst wenn ich Lady Diana sei, könne er nichts anderes für mich tun. Die Briten und ihr Humor.

Ach ja, London ist schön. Ich könnte mir vorstellen, länger hier zu wohnen. Wir hatten letzte Woche ein Neulingstreffen an der Uni und da habe ich zum ersten Mal einen waschechten Araber getroffen. Wo der her kommt, weiß ich nicht, aber irgendwo aus der Nähe von Saudi Arabien. Zuerst war ich natürlich sehr skeptisch und habe ihm auch gleich freundlich, aber ohne Umschweife zu verstehen gegeben, dass ich den Umgang mit Frauen in seiner Kultur nicht tolerieren könne. Er wies alle “Gerüchte” von sich und lud mich spontan in sein Land ein, damit ich mich selbst überzeugen könne. Ich habe ihm sofort klar gemacht, dass ich nicht blöd sei und mich erst recht nicht in seinen Harem locken ließe. Das wurde dann eine sehr lustige und etwas hitzige Debatte, aber ich wünschte, ich könnte besser Englisch, dann hätte ich vielleicht auch meine Gegenargumente besser anbringen können. Zumindest kann so ein Araber auch sehr charmant sein, so ganz anders wie ich erwartet hatte. Aber über ihre Religion lassen sie nichts kommen. Die nimmt eine absolute Vorderstellung ein. Ganz anders als bei unseren Jugendlichen.

So, nun muss ich aber wieder los. Wenn ich erst mal anfange zu erzählen, fällt es mir schwer aufzuhören.

Alles Liebe und bis bald.

Sei umarmt,
Deine kleine Schwester

Sonntag, 24. Juli 1988

Köln

Liebste Schwester,

ich habe mich sehr über Deinen Brief gefreut und bin ganz neidisch, dass Du in dieser tollen Stadt lebst und studierst! Ich werde Dich wohl bald besuchen kommen, meine Sehnsucht wird von Tag zu Tag größer und ich bin so gespannt auf London!!

Vorerst aber muss ich den Verlust eines Backenzahnes verschmerzen, zum Glück tut es jetzt nicht mehr weh. Wie ist das eigentlich in London, wenn Du mal zum Arzt musst?

Ich bin vergangenes Wochenende zu Dagmar in die WG gezogen, das kam ganz spontan, ein Zimmer wurde frei und ich dachte, warum nicht, und so lebe ich nun wieder mit Dagmar zusammen. Die alte WG löste sich ja eh langsam auf und der Vermieter will die Wohnung sowieso renovieren und ist froh, dass wir alle nach und nach ausziehen. Mein neues Zimmer ist jedenfalls wirklich wunderschön, so ein Erkerzimmer, vielleicht lernst Du es ja mal kennen, wenn Du nach Deutschland kommst. Aber ich denke, das wird wohl noch eine Weile dauern, und warum solltest Du das wunderschöne London verlassen? Mir gefällt Köln auch gut, obwohl es ja kein Vergleich ist mit London! Doch hier leben alle meine Freunde, wir machen viel gemeinsam und die wöchentlichen Essen Donnerstags hast Du ja nun auch kennen gelernt. Letzte Woche waren wir wieder bei Willi und natürlich warst Du und London ein Thema und auch Dein Bericht über das scheinbar problemlose Multi-Kulti. Das endete dann in einer hitzigen politischen Diskussion, die wir mit eingen Gläschen Wein abkühlten und so wurde es wieder spät und ich hatte wie immer große Mühe, am Freitag Morgen aufzustehen und pünktlich zur Arbeit zu erscheinen. Da wünsche ich mir dann immer, wir hätten diese moderne Gleitzeit, die einige Firmen anbieten. Aber sowas wird es in einer Behörde kaum geben, ich kann es mir jedenfalls nicht vorstellen.

Die Eltern sind immer noch überrascht, dass Du in London studierst, ganz so, als hätten sie es nie glauben können. So weit weg, sagt Vater immer, als sei England auf der anderen Erdhalbkugel. Er kann sich schwer damit abfinden, dass seine Töchter nun beide nicht mehr zu Hause wohnen. Wobei ich ja "nur" 50 Kilometer entfernt bin und sie wirklich oft besuche.

Sei's drum, ich werde jetzt meine Decke nehmen und mein Buch und in den Park gehen. Vielleicht setze ich mich auch an den Aachener Weiher, wo wir beide so oft waren. Mal sehen, die Sonne scheint und ich schlendere einfach mal los.

Ich freue mich schon auf Deinen nächsten Bericht über London, bald werde ich Dich besuchen, mal sehen, was die Reisebüros so anbieten und wann der nächste Brückentag kommt und ich darum lange frei nehmen kann.

Bleib gesund und munter und grüß mir die Insel!

Deine Schwester

Sonntag, 17. Juli 1988

London

Liebste Sis,

London ist klasse. Einfach toll. Voller Menschen und Leben. Die Menschen
kommen hier aus aller Herren Länder, aber die traditionelle britische
Kultur ist überall so präsant wie man es aus Miss Marple kennt. Im Pub
bekommt man Chips in allen Sorten, die sich aber in England Crisps
nennen. "Crispsssssss, dear" hat der Barkeeper zu mir gesagt, die hießen
hier "Crispsssss, dear!" Und der Akzent, einfach klasse.

Die Uni ist auch toll. Im Moment ist "Freshers' Week", d.h. alle neuen
Studenten werden in das Unileben eingewiesen. Überall stehen Stände mit
Broschüren für alle möglichen Vereine, besonders auch für die
verschiedenen Religionen, die hier vertreten sind, sowie
Hobbygesellschaften, neben den Infoständen der einzelen Abteilungen. Die
Fakultät nennt sich hier School. Und so bin ich schon wieder in einer
Schule gelandet, wo ich doch dachte, ich sei endlich frei. Man bekommt
überall Tee, Getränke und tausend Prospekte in die Hand gedrückt. Das
ist eine super tolle Atmosphäre. Besonders hat es mir die Multi-Kulti
Mischung der Studenten angetan. Aber man sollte sich nicht täuschen
lassen. In bunte Saris gehüllte Mädchen mit langen, pech-schwarzen
Haaren sprechen so was von Cockney, dem Londoner Dialekt, dass es dich
umhaut, weil das was du siehst, nicht zu dem passt, was du hörst. Dann
stellt sich heraus, dass die Familie schon etliche Generationen hier
lebt und sie selber in Großbritannien geboren wurden und auch erst zwei Mal
die Familie ihrer Eltern in Indien oder Pakistan besucht haben. In
Deutschland habe ich das leider noch nicht so erlebt. Was für uns die
Türken sind, sind in England die Inder und Pakistanis, aber hier sind
sie alle bunt gemischt. Stell dir vor, ich habe sogar Polizisten mit
Turbanen gesehen. Normalerweise haben die doch so einen Bobbyhelm auf,
der wie eine Melone aussieht, aber die Sieks, eine Hindu Gruppierung, so
wie ich das verstanden habe, düfen ihren Turban anstelle der Melone
tragen. Die haben nur die gleiche Farbe und das Emblem der königlichen
Dingsbums vorne drauf. Sieht echt jeck aus!

So, jetzt muss ich mich aber wieder sputen, die Uni ruft. Ich habe auch
schon zwei Deutsche getroffen und hoffe, dass wir uns gegenseitig ein wenig
helfen können. Mit der Sprache klappt es ganz gut, aber du kennst mich,
ich bin mir nie ganz sicher, ob ich auch alles richtig mache.

Sei herzlich umarmt und grüße mir unsere Eltern,
Dein kleines Schwesterherz

Donnerstag, 30. Juni 1988

Köln

Meine liebste Schwester,

gestern war Vollmond und so habe ich nicht schlafen können, Du weißt ja, mich beeinflußt sowas sehr. Ich habe also eine Weile wach gelegen und daran gedacht, dass Du nun für lange Zeit in London leben wirst. Haben Deine Vorlesungen schon begonnen? Was lernst Du denn genau? Wie geht das mit dem Arabischen, ist es nicht schwer, eine neue Schrift zu lernen? Und ist das Leben in London so viel anders als in Köln? Ich könnte Frage um Frage stellen und bin ganz gespannt auf Deine Antworten!

Am Wochenende will ich die Eltern besuchen. Es ist herrliches Sommerwetter und so werde ich mich in den Garten legen und an Dich denken. Ich werde wie immer in Deinem "Kinderzimmer" schlafen, aber diesmal wird es sich anders anfühlen. Du bist weit fort und ich vermisse Dich!

Ich grüße Dich ganz herzlich und bin schon voller Erwartung auf Deine Antworten!!

Deine Schwester